Schule gestalten

Menschen stärken

Kooperationen stiften

Europäische Sozialfonds

Großes Interesse an Forschung und Publikation zu Sinti*zze und Rom*nja im Stadtarchiv Neubrandenburg

Start 9 Aktuelles 9 Großes Interesse an Forschung und Publikation zu Sinti*zze und Rom*nja im Stadtarchiv Neubrandenburg
Ramona Sendlinger, Angehörige von Albert Lutz, im Gespräch mit Zeitzeug*innen aus Neubrandenburg.
Veröffentlicht am: 26. April 2023
Beitrag aus dem Bereich: Aktuelles | Nachrichten
Am Montag begingen zeitlupe, die Geschichtswerkstatt der RAA M-V, zusammen mit der Annelise-Wagner-Preisträgerin Dr. Natalja Jeske und im Beisein von Vertreter*innen von städtischen historischen Einrichtungen und von Förderern die Buchpremiere […]

Am Montag begingen zeitlupe, die Geschichtswerkstatt der RAA M-V, zusammen mit der Annelise-Wagner-Preisträgerin Dr. Natalja Jeske und im Beisein von Vertreter*innen von städtischen historischen Einrichtungen und von Förderern die Buchpremiere der Publikation „Sinti und Roma in Mecklenburg und Vorpommern – Eine Geschichte in Biografien“. Die Veranstaltung, die die Regionalbibliothek Neubrandenburg in ihr Programm zum Bücherfrühling aufgenommen hatte, stieß auf ein großes öffentliches Interesse. Neben den über 70 Besucher*innen nahmen die Enkelin von Albert Lutz, einem Sinto, NS-Überlebenden und ehemaligen Bewohner von Weitin, und etliche weitere Zeitzeug*innen an der Lesung und der anschließenden Diskussion regen Anteil.  

(v. links: RAA-Geschäftsführer Christian Utpatel zusammen mit dem Ehepaar Sendlinger, Dr. Natalja Jeske, dem Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Jochen Schmidt und zeitlupe Projektleiterin Dr. Constanze Jaiser)

Erinnerung bewahren

Die Autorin Dr. Natalja Jeske berichtete von den Anfängen ihrer Forschung und beeindruckenden persönlichen Begegnungen mit Angehörigen der Rom*nja und der Sinti*zze in Deutschland und im Ausland. Hieraus erwuchs, so ihr Bekenntnis, schon früh ein großes Interesse am Thema; und nun auch am Kampf der Sinti*zze und Rom*nja in Mecklenburg-Vorpommern um Selbstbehauptung vor, während und nach dem Ende des Nationalsozialismus.  

Die Publikation entstand in enger Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt zeitlupe und wurde aus Mitteln der Landeszentrale für politische Bildung MV, der Partnerschaft für Demokratie Neubrandenburg und der Freudenberg Stiftung gefördert. Der Autorin war es ein wichtiges Anliegen, den Fokus auf Einzel- und Familienschicksale zu richten. Rom*nja und Sinti*zze wurden vor und während der Diktatur der Nazis rassistisch verfolgt und ebenso wie Menschen anderer Nationen und sozialer Schichten systematisch in nationalsozialistischen Konzentrationslagern getötet. Der Publikation ist es gelungen, den Verbrechen der Nationalsozialist*innen Lebenslinien der Sinti*zze und der Rom*nja entgegenzusetzen und ihre Geschichten zu überliefern: es sind Erzählungen über Menschen, die sich als mobile Arbeiterinnen und Händler behaupten mussten, die als Angestellte, als Unternehmer*innen oder als Künstler*innen und Nachbarn ein wichtiger Teil der deutschen Gesellschaft waren, aber die nach dem zweiten Weltkrieg ein neues Leben versuchen mussten. 

Die Autorin (3. v. links) mit Ramona Sendlinger (rechts daneben) und Zeitzeug*innen.

Biografien greifbar machen

Die gestrige Lesung ermöglichte den Besucher*innen insbesondere Einblick in das Leben von Albert Lutz, einem Pferdehändler und einem Bewohner des Dorfes Weitin, das heute zu Neubrandenburg gehört. Das Dorf war ein wichtiger Aufenthaltsort für die in Mecklenburg lebenden Sinti*zze, bis die Polizeibehörden am 8. März 1943 das Dorf räumen ließen und die Weitiner Sinti*zze zusammen mit hunderten Sinti*zze und Rom*nja aus Mecklenburg in das Konzentrationslager nach Auschwitz verschleppten. Unter ihnen war auch Albert Lutz. Er verlor in Auschwitz seine Frau Rosa und acht Kinder. Als Überlebender des Lagers kehrte er nach Kriegsende nach Neubrandenburg zurück und gründete dort eine neue Familie. Die Aberkennung des Status als „Verfolgter des Naziregimes“ durch die sozialistischen Behörden und die fortgesetzte Diskriminierung in der DDR veranlassten ihn wie viele andere Sinti*zze und Rom*nja noch einmal zur Flucht nach Westdeutschland.  

Albert Lutz hinterließ tiefe Spuren in den Erinnerungen der Weitiner Einwohner*innen, von denen einige die Veranstaltung besuchten. Insbesondere über die Teilnahme von Ramona Sendlinger, der Enkelin von Albert Lutz, die anlässlich der Premiere nach Neubrandenburg kam, um über ihren Großvater zu sprechen, sind wir sehr dankbar. Ihr war es wichtig, die Erinnerung an Albert Lutz und andere Rom*nja aufrechtzuerhalten. Sie begrüßte die Anstrengungen und die Recherchen zu den Spuren, mit denen die Schicksale der Sinti*zze und Rom*nja in Mecklenburg und Vorpommern zumindest in Teilen überliefert werden können. Sie berichtete aber auch von der Fortsetzung der Ausgrenzungsversuche, die weit über den Nationalsozialismus hinaus wirkten, und bis in die Gegenwart reichen.  

Die Zukunft des Projektes

Die Publikation von „Sinti und Roma in Mecklenburg und Vorpommern – Eine Geschichte in Biografien“ bedeutet nur einen vorläufigen Abschluss dieser Recherchen. Mit der zunehmenden Öffentlichkeit, die das Thema erfährt, steigt die Chance, dass weitere Zeitzeug*innen und Nachfahr*innen der Rom*nja und der Sint*izze aus Mecklenburg-Vorpommern bereit sind, über ihre Erfahrungen zu berichten.  

Möchten auch Sie die Geschichten der Rom*nja und Sinti*zze in in M-V nachlesen, können Sie eine Publikation über unser Kontaktformular bestellen. 

Natalja Jeske: Sinti und Roma in Meckenburg und Vorpommern – Geschichte in Biografien. Hrsg. v. RAA – Demokratie und Bildung Mecklenburg-Vorpommern e.V. und Landeszentrale für Politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin/Waren 2022. 

Weitere Beiträge