+++ Vorstellung Verfassungsschutzbericht 2022 +++ Rechtsextremismus bleibt größte Gefahr für Demokratie +++ LIVE-Interview Annika de Buhr mit Dr. Daniel Trepsdorf (RAA-Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg) / fachliche Einordnung auf n-tv+++
Im Bundesverband mobile Beratung (BMB) sowie in den regionalen Demokratieförderszenen der Länder stehen die Zusammenhänge schon länger in Fach- und Arbeitsdiskussion: Unsere Demokratie befand sich in den Jahren der Pandemie vor völlig neuen politischen wie gesellschaftlichen Herausforderungen, insbesondere auch durch radikalisierte Teile der Querdenkerbewegung sowie der Verschwörungsszene. Eine wesentliche Erkenntnis: Rechtsextremismus und Rassismus bleiben die prägenden Gefahren für die freiheitliche Lebensweise in der Berliner Republik.
Das Personenpotenzial der Rechtsextremist:innen stieg 2021 nochmals um 1,8% auf nunmehr 33.900 Personen (plus 5% im davor liegenden Erhebungszeitraum 2020). Knapp 40% dieser Rechtsextremist:innen und Neonazis gelten als gewaltbereit, allein 21.000 Reichbürger:innen und radikalisierte Selbstverwalter zählt das BfVS. Dies ist der höchste Wert seit Erhebung der Statistik. Auch Linksextremismus und Islamismus haben an Zuspruch gewonnen. Doch allein das FDGO-feindliche Gefahrenpotenzial, Gewalteskapaden, das Horten von Waffen, Sprengstoff und Munition für den „Tag X“, den Tag des Umsturzes der demokratischen Ordnung, wie dies für die rechte Szene stilprägend ist, sind ohne Beispiel in anderen extremistischen Gruppen. Dies gilt auch für die hohe Zahl rechtsextremistischer Straftaten, die sich bereits seit 2015 auf einem hohen Niveau von über 20.000 p.A. eingependelt hat.
Der BfVS-Bericht hat zudem neue Phänomenzirkel benannt: Die sog. neurechte „Siege“-Szene (vom engl. Begriff „Belagerung“, Hauptprotagonist: James Mason), die gerade weltweit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen rekrutiert und die sich in der Praxis durch
- rechte Terrorpropaganda sowie Gewaltverherrlichung im Internet (Bsp.: „Atomwaffendivision Deutschland“, „Sonderkommando 1418“, aber ebenso die formal verbotenen „Cambat18“) als auch durch
- den postulierten „Rassenkrieg“ oder durch
- Radikalisierung, Hate-Speech und Bedrohungsansprachen gegenüber demokratischen Engagierten
negativ hervortut. Aber auch der neue Phänomenbereich „demokratiefeindliche u./o. sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ (aka „radikalisierte Querdenker und Anti-Hygieniker:innen“), die sich von den Behörden formal noch keinem pol. Spektrum zuordnen lassen. Das Dunkelfeld ist in diesem Bereich enorm ausgedehnt und die Ablehnung demokr. Institutionen, deren Repräsentant:innen, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF), die militante Ablehnung der LGBTQ*-Community, Rassismus und Antisemitismus sind in letztgenannter Szene weit verbreitet.
Unstrittig ist: Die Gefahr rechtsextremistischer Ideologie, ihre Deutungsmuster und destruktive Urteilskraft sind in vielen gesellschaftlichen Milieus andockfähig. Dies beeinflusst im schlimmsten Falle die Werte, Alltagsmotive, Lebensziele und Lebensstile, die soz. Hintergründe, Einstellungsmuster und Überzeugungen der Menschen, wie auch Daniel Trepsdorf von der RAA MV e.V. im Interview festhält. Vor dieser Bühnenblende gesellschaftlicher Entwicklungen gilt ebenso: Prävention ist stets besser als Suppression. Das Demokratiefördergesetz muss kommen. Nur Instrumente wie Sensibilisierung, Beratung, pol. Bildung und die gemeinsame Arbeit an demokratischen Werten, kann den Einfluss von alten und neuen Nazis zurückdrängen. Wo Sicherheits- und Polizeikräfte ordnungspolitischen Maßnahmen den Vorzug geben, da müssen Politik und Zivilgesellschaft dem „Entstehungs- und Radikalisierungsparadigma“ entgegenwirken, welches menschenfeindliche und demokratieverächtende Tendenzen im Alltag klar benennt und bekämpft. Und dies bereits in Kita und Schule, vor allem aber in der Nachbarschaft sowie durch Zivilcourage im öffentlichen Raum.