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Partizipative Gestaltung von Lernlandschaften in Lübstorf

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Veröffentlicht am: 1. Juli 2025
Beitrag aus dem Bereich: Aktuelles | Nachrichten
Schlagwörter: Lernumgebung | Schule
In der Grundschule Lübstorf wurden Lernräume neu gestaltet. In den Prozess waren auch die Schülerinnen und Schüler eingebunden. Im Mai 2025 fand die feierliche Einweihung statt.

Während sich die Welt rasant verändert, erinnern viele Lernräume noch immer an das 20. Jahrhundert: konventionelle Tische und Stühle, ausgerichtet auf eine Tafel. Dabei braucht zeitgemäße Bildung vielfältige Raumqualitäten – für Bewegung und Ruhe, Gemeinschaft und individuelles Lernen. Meist sind keine großen Investitionen nötig, es helfen vor allem Engagement und Beteiligung. Wenn Lehrkräfte und Lernende mitgestalten, entstehen Räume für Entwicklung, Identifikation und ganzheitliches Lernen.

Am 27. Mai 2025 wurde in Lübstorf das Ergebnis eines solchen Beteiligungs- und Bauprozesses präsentiert: Eltern, Kinder und weitere Beteiligte eröffneten feierlich ihre neuen „Marktplätze“ im Clusteranbau der Grundschule Lübstorf. Ihre neue Mitte, die die Klassenzimmer und Nebenräume auf jedem Geschoss verbindet, haben die Kinder der ersten drei Jahrgangsstufen mitgestaltet und mitgebaut. Möglich wurde dies durch das Berliner Architekturbüro Bauereignis, das bereits mit mehr als 50 Schulen in Berlin und Umgebung zeitgemäße Lernumgebungen entwickelt und umgesetzt hat. Bei der Planung setzt dieses Büro auf Kooperationen mit lokalen Handwerksbetrieben. Das Besondere: Die Kinder beschäftigen sich mit den Schulräumen, ihren Wünschen und Bedürfnissen und bauen selbst mit.

Die Inspirationsquelle: Das Netzwerk für zeitgemäße Lernumgebungen

Impulsgeber für das Projekt war die Serviceagentur Ganztägig Lernen M-V bei der RAA M-V: Die Mitarbeitenden Thomas Hetzel und Konni Fuentes gründeten 2020 ein thematisches Netzwerk für zeitgemäße Lernumgebungen in der ganztägig arbeitenden Schule und nahmen interessierte Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulträger mit auf eine Entwicklungsreise. Nach Online-Weiterbildungen folgte im November 2022 eine Exkursion zu beispielhaften Bildungsorten in die Niederlande und später ein Besuch der Grundschule in Potsdam-Babelsberg. Hier hatte die Schulgemeinschaft einen umfangreichen Maßnahmenkatalog für die Neugestaltung ihrer Lernumgebung erarbeitet. Die Architekt*innen bauten Einrichtungen für insgesamt zwölf Klassenzimmer, Nebenräume, Bibliothek, Mensa und Fachräume – ebenfalls partizipativ. 

Das Babelsberger Beispiel inspirierte die Schulleitung der Regionalen Schule mit Grundschule „Werner Lindemann“ dazu, einen ähnlichen Prozess für die „Marktplätze“ im Grundschulanbau in Lübstorf anzustreben. Das Beispiel zeigt aber auch, dass fortschrittliche, flexibel nutzbare Lernumgebungen nicht nur im Neubau möglich sind. Auch in älteren Schulbauten sind neue Raumqualitäten ohne große bauliche Veränderungen möglich. Selbst Flure können in vielen Fällen zu Aufenthaltsräumen umgestaltet werden.

Neue Lernräume, neue Möglichkeiten

Anika Schell, eine der Lehrerinnen, die den Prozess begleitet haben, berichtet von der Begeisterung der Lübstorfer Kinder für ihre neuen „Marktplätze“: „Sie freuen sich morgens schon darauf, in die Schule zu kommen und vor dem Unterricht dort Zeit zu verbringen.“ Auch in verregneten Pausen sorgen die Möbel für Aufenthaltsqualität und Beschäftigungsanregungen, denn Bewegung, Spiel und Konzentration werden durch die vielseitigen Raumsituationen gefördert. In die Unterrichtsgestaltung sind die „Marktplätze“ auch schon integriert: „Die Kinder können Vorlesepaare bilden und sich einen gemütlichen Ort zum Lesen suchen“, beschreibt Anika Schell ein Format für den Deutschunterricht. Beim individuellen Arbeiten in den Alkoven oder auf der Hochebene helfen tragbare Schreib- und Zeichenbretter sowie Sitz-Tisch-Kombinationen. Blickbeziehungen in die geschlossenen Rückzugsorte werden durch die verglasten Wände oder Fensteröffnungen ermöglicht.

Die großen Hängematten können von bis zu zwei Kindern gleichzeitig belegt werden – so lautet eine der Regeln für die Nutzung der Lernlandschaft. Manche Regeln ergeben sich aus den baulichen Voraussetzungen, andere müssen innerhalb der Schulgemeinschaft ausgehandelt werden. Dieser Prozess beginnt mit der Eröffnung, wird aber nie zu Ende sein, weil immer wieder neue Kinder und Lehrkräfte in die Gemeinschaft eintreten. Lernlandschaften als zentrale Begegnungsräume fördern Aushandlungsprozesse als Teil des gemeinsamen Lernens und der individuellen Entwicklung. Auf diese Weise wird Beteiligung im Schulalltag umgesetzt.

Individuelle Lösungen

Neben Hochebenen und Podesten setzten die Architekt*innen auch individuelle Wünsche der Lübstorfer Kinder um: Ein „Vulkan“ bietet eine ruhige Leseecke im obersten Geschoss, die auch für vertrauliche Gespräche oder „den Blick in den Himmel“ genutzt werden kann, wie die Projektbeschreibung verrät – das Möbelstück steht unter einem Oberlicht. Der Wunsch der Kinder nach einem Geheimversteck wurde in Form einer Höhle umgesetzt, die sich mittels einer an der Wand befestigten Holzplatte auf- und zuklappen lässt.

Beliebt ist auch der Sitzkreis auf der blauen Bank: „Wir nennen sie Wolkenbank“, erklärt eine Schülerin stolz, während sie mit der Schulsozialarbeiterin Dana Eckstein und ein paar weiteren Kindern die Gäste der Eröffnungsfeier durch ihre Schule führt. Auf dieser Bank saßen während der Ansprache mehr als zwanzig Kinder auf drei Ebenen – platzsparend, flexibel und bequem. Sitzfläche, Lehne und der Boden vor der Bank laden mit gemütlichen Yoga-Kissen und angenehmen Proportionen zum Sitzen ein. Eines der Podeste ist als Bühne nutzbar, der „Marktplatz“ bietet somit ideale Bedingungen für Veranstaltungen – im Unterricht und darüber hinaus.

Ein Projekt mit Signalwirkung

„Leuchttürme markieren einen Ort dauerhaft mit einem individuellen Lichtsignal – nun hat Lübstorf auch einen Leuchtturm in der Bildungslandschaft Mecklenburg-Vorpommerns“ – so beschreibt Schulleiterin Andrea Pentzien in ihrer Ansprache das einzigartige Projekt. Die Lernlandschaften, die die Klassencluster im Grundschulneubau als „Marktplätze“ verbinden, sind individuell in Lübstorf und für Lübstorf entwickelt worden und können nun viele Jahre genutzt werden. Darüber hinaus kann das Projekt Orientierung bieten für die Schulen im ganzen Land und die Richtung weisen zu zeitgemäßen Lernumgebungen für zeitgemäße Lernkonzepte.

Die Basis des Leuchtturms wurde 2023 mit einem Neubau für die drei unteren Jahrgangsstufen nach Plänen von Birgit Kästner (bab architekten) fertiggestellt. Die Clusterstruktur mit gläsernen Wänden war damit umgesetzt, die Einrichtung der „Marktplätze“ in der Mitte sollte nun gemeinsam mit den Kindern konzipiert und gebaut werden. Der erste Schritt war die Beantragung von Fördermitteln im LEADER-Programm der Europäischen Union zur Förderung innovativer Projekte im ländlichen Raum. Mit fachlicher Unterstützung der Serviceagentur Ganztägig Lernen M-V konnte der Schulträger, das Amt Lützow-Lübstorf, etwa 132.000 Euro für das Vorhaben akquirieren.

Die projektverantwortlichen Architektinnen von Bauereignis, Anna Bayer und Anna Mayberry, schwärmen von der Zusammenarbeit mit den Ansprechpartnern vor Ort: „Alle waren super hilfsbereit und haben unsere Fragen schnell beantwortet.“ Im Frühjahr 2024 verbrachten die beiden Architektinnen eine Woche in Lübstorf, um mit den Kindern die Räumlichkeiten und Möbel zu vermessen und Einrichtungswünsche in einem Modell zusammenzutragen. Ganz nebenbei konnte das räumliche Denken geschult und die Darstellung von Ideen geübt werden. Nach einer mehrmonatigen Planungsphase, in der die Ideen der Kinder mit Unterstützung weiterer Fachleute in eine konkrete Planung übersetzt wurden, folgte schließlich die von den Kindern ersehnte Bauwoche, in der Sägen und Akkuschrauber unter Aufsicht von Handwerkern ausprobiert wurden. Sie lernten dabei, Baupläne zu verstehen, Maße anzuzeichnen und allgemein mit dem Werkstoff Holz umzugehen.

Blick in die Zukunft: Neue Raumqualität in alten Schulbauten

Die höheren Klassen werden in Lübstorf in einem Altbau aus den 1960er Jahren unterrichtet. Der erste Schritt zu partizipativen Interventionen auch in diesem Teil der Schule ist bereits getan. Studierende der Hochschule Wismar haben in einem mehrtägigen Workshop die Wünsche und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler aufgenommen. Die Jugendlichen erfahren dabei, dass ihre Meinung zählt. Nun geht es darum, dieses Versprechen einzulösen und auch im Altbau vielseitige und einladende Raumsituationen zu schaffen. Mitgestaltung stärkt Selbstbewusstsein – ein Schritt zur gelebten Demokratie.

Der im Jahr 2026 beginnende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ist ein Argument, an weiteren Schulen in M-V die baulichen Voraussetzungen für das ganztägige Lernen zu verbessern und die Beteiligung an Planungs- und Bauprozessen in die regulären Arbeitsabläufe von Schule und Schulbauträgern zu integrieren. Das Lübstorfer Leuchtturmprojekt zeigt, was das Engagement Einzelner bewirken kann. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Trend zur zeitgemäßen Lernumgebung in M-V fortsetzt und noch viele Kinder von partizipativen Bauprojekten an ihrer Schule profitieren.

Für die Serviceagentur Ganztägig lernen M-V ist das Thema der zeitgemäßen Lernumgebungen ein wichtiger Baustein für die Ganztagsschulentwicklung im Land: Im Schuljahr 2023/2024 richtete die Serviceagentur beispielsweise die erste Schulbau-Tagung des Landes in Kooperation mit dem Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung M-V sowie der Hochschule Wismar aus.

Text: Dina Dorothea Falbe, Michael Retzar und Sophie Ludewig

Fotos: Sara Scholl, Bauereignis und Thomas Hetzel

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