Was können Schulen in Mecklenburg-Vorpommern von der Kooperation zwischen Schulen und Kultureinrichtungen in Dänemark lernen? Um das herauszufinden, reisten Teammitglieder der Serviceagentur Ganztägig lernen M-V der RAA M-V im April 2023 mit rund 20 Lehrkräften nach Aarhus. Die Reise wurde finanziert aus Mitteln des EU-Austauschprogramms “Erasmus+”, welche die Serviceagentur eingeworben hatte. Aarhus liegt an der Ostküste der Halbinsel Jütland und ist mit rund 330.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Dänemarks. Im Jahr 2017 war sie die Kulturhauptstadt Europas und zeichnet sich durch vielfältige kulturelle Angebote aus. Die Kommune Aarhus möchte die Vernetzung von Kultur- und Bildungseinrichtungen in besonderem Maße fördern.
Am ersten Abend erhielten die Teilnehmer*innen der Hospitationsreise einen Überblick über das dänische Schulsystem. Die Leiterin des „Børnekulturhuset“, Malene Lyngard, begrüßte die Reisegruppe in ihrer Einrichtung, die kulturelle Angebote für Kinder, Jugendliche und pädagogisches Personal entwickelt und organisiert. Kristin Frank, die als deutsche Lehrerin an einer Waldorfschule in Aarhus arbeitet, berichtete vom Aufbau des Schulsystems in Dänemark. Bis Klasse 9 lernen alle Kinder in der so genannten Volksschule. Vor dem Besuch eines Gymnasiums oder dem Beginn einer Berufsausbildung kann man ein freiwilliges 10. Schuljahr absolvieren, wahlweise an einer Volksschule, einem Gymnasium oder einer „Efterskole“ (vergleichbar mit einem Internat). In diesem Orientierungsjahr belegen die Schüler*innen neben einigen Pflichtfächern auch soziale, kulturelle, sportliche oder musische Neigungsfächer. Weiterführende Schulen zur Hochschulreife sind das allgemeinbildende, das Handels- und das technische Gymnasium.
Lernen durch Handeln
Der zweite Tag startete mit einem Rundgang durch das „Børnekulturhuset“. Die Stadt Aarhus betreibt dieses Kulturzentrum seit dem Jahr 2000, um Künstler*innen mit Kindern und Jugendlichen zusammenzubringen und Kulturelle Bildung sowohl in der Schule als auch in der Freizeit zu fördern. Zum einen vermittelt das „Børnekulturhuset“ kulturelle Angebote, zum anderen entwickelt und organsiert es sie selbst. Viele Schulklassen besuchen die Einrichtung. Vor- und Grundschulklassen können hier zum Beispiel spielerisch das Alphabet lernen. Es gibt Theatergruppen und einen großen Kostümfundus. Aber auch für Lehrkräfte werden Fortbildungen durchgeführt. Dabei soll das erlebnisorientierte Lernen, also das Lernen durch Handeln, im Mittelpunkt stehen. Diese Methode prägt auch den Unterricht in der „Frederiksbjerg Skole“, die die Reiseteilnehmer*innen anschließend besuchten. Wie außergewöhnlich diese öffentliche Volksschule ist, offenbarte sich bereits im Eingangsbereich: Dort ragen sechs Laubbäume ihre Kronen in die Höhe und neben der Treppe führt auch eine Kletterwand in den ersten Stock. Das Gebäude wurde auf der Grundlage des Konzepts entworfen, dass die Effektivität und Nachhaltigkeit des Lernprozesses durch die Verbindung mit körperlicher Aktivität gesteigert werden. Unterstützt wird die besondere Atmosphäre dadurch, dass dank einer speziellen Behandlung des Fußbodens alle Schüler*innen ohne Schuhe durch ihre Schule laufen. Die Räume sind in Themenbereiche eingeteilt; alles wurde offen, hell und multifunktional konzipiert.
Museen als besondere Lernorte
Wie Museen mit den Schulen in Aarhus zusammenarbeiten, erfuhr die Reisegruppe anhand von drei Beispielen. Im KØN dreht sich alles um das Thema Gender und Gleichberechtigung im Kontext Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Ausstellungen sind interaktiv ausgerichtet, auf verschiedenen Ebenen können sich die Besucher*innen damit auseinandersetzen. Wie in allen kulturellen Einrichtungen, die die Gruppe aus M-V in Aarhus kennen lernte, setzen auch die Gestalter des KØN auf eine dialogbasierte Vermittlung. Besonders gut kommen dabei die Rollenspiele und Fragerunden für Schulklassen an. Mit rund 21.000 qm Fläche auf insgesamt zehn Etagen gehört das „ARoS“ zu den größten Kunstmuseen Skandinaviens. Der Fokus des Museums liegt vor allem auf zeitgenössischer Kunst. Für Schulklassen gibt es neben speziellen Führungen auch die Möglichkeit, selbst künstlerisch tätig zu werden. In den „ARoS Studios“ können sich Kinder und Jugendliche in drei Werkstätten bei verschiedenen Projekten ausprobieren. Das Steno-Museum wiederum widmet sich der Kulturgeschichte von Naturwissenschaft und Medizin und umfasst zudem ein Planetarium und einen Kräutergarten. Auch hier gibt es speziell auf Schulklassen abgestimmte Führungen durch die Ausstellungen. Außerdem werden interaktive Workshops für Kinder und Jugendliche sowie für pädagogisches Personal angeboten. Die Teilnehmer*innen der Hospitationsreise waren in ihrem Workshop herausgefordert, 3D-Modelle zum Sonnensystem zu entwerfen und zu bauen. In sechs Teams konnten sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen, am Ende entstanden Modelle für verschiedene Klassenstufen.
Kultur und Kreativität im Unterricht
In zwei Privatschulen von Aarhus tauchte die Reisegruppe noch tiefer in die Konzepte von Kultureller Bildung in Dänemark ein. Die „Kochs Skole“ besteht seit 1866 und hat rund 600 Schüler*innen bis Klasse 10. Kreative Methoden finden in allen Fächern Anwendung und besonders die Einbindung außerschulischer Lernorte hat an der „Kochs Skole“ eine große Bedeutung. Dazu zählt neben kulturellen Einrichtungen auch die nähere Umgebung im Viertel. Einmal pro Woche macht jede Klasse einen kleineren oder größeren Ausflug. Als Teil der Gestaltung des Stadtteils haben die Schüler*innen zum Beispiel Hochbeete direkt neben der Kirche angelegt. Von den dort wachsenden Kräutern und Gemüsesorten darf auch die Nachbarschaft etwas ernten. In der „Steiner Skole“ spielt künstlerisches Erleben und Ausprobieren eine wichtige Rolle. Sie ist eine der ältesten Waldorf-Schulen Dänemarks. Die rund 500 Schüler*innen können sich unter anderem im Schulorchester, in Theatergruppen, in der Kunstwerkstatt oder der Schmiede ausprobieren. Ab der 3. Klasse bekommt jedes Kind die Möglichkeit, ein Instrument zu lernen. Dieser Einzelmusikunterricht wird flexibel in den Unterrichtsalltag integriert. Außerdem hat die „Steiner Skole“ die Besonderheit, dass sie bis zum Abitur ohne Noten arbeitet und der Abschluss dennoch offiziell als Hochschulreife anerkannt wird.
Musik liegt in der Luft
Mit dem Schwerpunkt musikalische Bildung beschäftigten sich die Teilnehmenden der Hospitationsreise auch bei ihrem Besuch des „Musikhuset“, der Konzerthalle von Aarhus. Es ist das größte Konzerthaus in Skandinavien und Heimspielort des Aarhus Sinfonieorchesters. Das Sinfonieorchester engagiert sich stark in der Zusammenarbeit mit den Schulen der Region. So bietet es zum Beispiel spezielle kostenfreie Schulkonzerte an und lädt zu offenen Generalproben ein. Darüber hinaus gestalten Schulchöre gemeinsam mit dem Orchester das jährliche Familienweihnachtskonzert und es gibt Projekte, bei denen professionelle Musiker*innen mit Musikschüler*innen zusammenarbeiten. Lehrkräfte können kostenloses Unterrichtsmaterial über die Website des Orchesters erwerben. Die Reisegruppe erlebte in dem eigens für das Sinfonieorchester konzipierten Saal des „Musikhuset“, dessen Akustik preisgekrönt wurde, ein fantastisches Konzert mit Werken des russischen Komponisten Sergei Rachmaninow.
Mehr als nur Bücher
Eines der Highlights der Hospitationsreise war auch der Besuch des „Dokk1“. In dieser weltbekannten öffentlichen Bibliothek kann man mehr machen, als nur Bücher auszuleihen, denn es ist Kulturzentrum, Bürger-Service, Touristinformation, Spielplatz, Fernsehstudio und Bücherei in einem. Nach mehr als 15 Jahren Planungs- und vier Jahren Bauzeit wurde das „Dokk1“ 2015 eröffnet und gilt seither als eines der innovativsten Kulturzentren Europas. Das Konzept, die Bibliothek als öffentlichen Ort zu sehen, an dem Menschen sich begegnen können, wirkt sich natürlich auf das pädagogische Programm dieser Einrichtung aus. In verschiedenen Projekten werden Kindergärten und Schulen eingebunden, die Nutzung der Angebote ist für sie kostenlos – wie auch die Bibliotheksnutzung in Dänemark generell kostenfrei ist. Ein Schwerpunkt liegt auf Familien als Zielgruppe, um Kulturelle Bildung nicht nur im Kontext Schule zu gestalten. Darüber hinaus finden im großen Mehrzwecksaal des Gebäudes Theatervorstellungen, Konzerte, Vorträge und Bürgerversammlungen statt.
Feedback und Ausblick
Ziel der Aarhus-Reise war es, Inspiration und Ideen für die Gestaltung von Kulturkooperationen und die Einbindung Kultureller Bildung in den Unterrichtsalltag in den Schulen der Teilnehmer*innen zu geben. Beim gemeinsamen Abschiedsabend im Kulturzentrum „Godsbanen“ zeigten sich die mitgereisten Lehrer*innen beeindruckt von der Begeisterung und der starken Eigeninitiative der besuchten Schulen in Aarhus. „Das ist eine Ermutigung, selbst Schritte zu gehen und nicht erst auf Angebote von außen zu warten“, erklärte eine Lehrerin aus Greifswald. Gleichzeitig hätten die Aarhuser Schulen vor Augen geführt, welches große Potential sich entfalten kann, wenn Lehrkräfte mehr Verantwortung an Schüler*innen und Eltern abgeben. Neue Lernorte außerhalb der Schule zu entdecken und neue Kooperationen mit kulturellen Einrichtungen einzugehen, bezeichneten alle Mitreisenden als wichtige Anliegen. Auch in einem anderen Punkt waren sie sich einig: „Der Austausch mit den Leuten hier in Aarhus und auch untereinander in der Gruppe ist eine echte Bereicherung für unsere Arbeit.“