Vom 24. bis 28. Februar 2025 fand der zweite Teil des deutsch-polnischen Schüleraustauschs zwischen dem Albert-Einstein-Gymnasium Neubrandenburg und dem No Bell Liceum aus Konstancin-Jeziorna statt. Nach dem ersten Austausch im November 2024 in Neubrandenburg und Berlin reisten nun 14 deutsche Schüler:innen samt Lehrerin nach Polen, während die 9 polnischen Schüler:innen mit ihrem Lehrer innerhalb Polens nach Krzyżowa fuhren, um die gemeinsame Auseinandersetzung mit Geschichte, Widerstand und den deutsch-polnischen Beziehungen fortzusetzen. Begleitet wurde der Austausch erneut von der Geschichtswerkstatt zeitlupe.
Ankommen in Krzyżowa – Erste Begegnungen und historische Spurensuche
Nach der Anreise per Bahn trafen sich die deutschen und polnischen Teilnehmenden in Wrocław (Breslau) und reisten mit dem Bus gemeinsam weiter nach Krzyżowa (Kreisau). Dort bezogen sie ihre Zimmer in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte, einem geschichtsträchtigen Ort, der eng mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und der deutsch-polnischen Versöhnung verbunden ist.
Ein Spaziergang über das Gelände führte die Jugendlichen an eine Outdoor-Ausstellung zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs heran und bot Gelegenheit, erste Eindrücke auszutauschen. Die Teilnehmenden reflektierten ihre bisherigen Erfahrungen mit internationalem Jugendaustausch, ihre Kenntnisse zur deutsch-polnischen Geschichte sowie ihre Nutzung der englischen Sprache als Kommunikationsmittel. Der Abend klang mit Kennenlernspielen aus, die das Gruppengefühl stärkten.
Die Schülerin Lena brachte eine zentrale Erkenntnis des Austauschs auf den Punkt: „Ich denke, auch heute noch merkt man Vorurteile von Deutschen gegenüber polnischen Menschen und umgekehrt. Allerdings glaube ich, dass man schon daran arbeiten kann und dass sich diese Vorurteile auch ins Gute wenden können. Ich denke, dass der Austausch eine gute Möglichkeit ist, das Bild von Jugendlichen zu verändern und neue Perspektiven aufzumachen.“
Gemeinsamkeiten entdecken und Widerstand verstehen
Der zweite Tag begann mit Sprachanimationen und Team-Building-Aktivitäten, um die Verständigung zwischen den Jugendlichen weiter zu erleichtern. Anschließend gestalteten sie Collagen zu ihrer Identität und gemeinsamen Werten, die sie später präsentierten.
Am Nachmittag folgte eine Führung durch Krzyżowa, die die Teilnehmenden mit der Geschichte des Ortes, dem Widerstandskreis um Helmuth James von Moltke (Kreisauer Kreis) sowie der historischen Versöhnungsmesse von 1989 vertraut machte, bei der Helmut Kohl, Kanzler des wiedervereinigten Deutschlands, und Tadeusz Mazowiecki, erster nichtkommunistischer Premier Polens nach dem Zweiten Weltkrieg, symbolträchtig einander die Hände reichten. Der Schüler Elias zeigte sich besonders beeindruckt von diesem Ort: „Wir hatten eine Tour durch Kreisau, in der wir auch viel über den historischen Kontext dort gelernt haben. Dabei ging es dann auch z.B. darum, dass Helmut Kohl vor uns schon mal in Kreisau war. Was wahrscheinlich niemand weiß: dass dort sogar ein Stück der Berliner Mauer steht – das fand ich super interessant.“
Besonders intensiv setzten sich die Teilnehmenden mit dem Briefwechsel zwischen Freya und Helmuth James von Moltke auseinander. Sie reflektierten über die Gedankenwelt und moralischen Dilemmata der Widerstandskämpfer:innen und diskutierten, welche Werte ihnen heute noch wichtig sind. Ein Vortrag der polnischen Schülerin Helena zum Thema „Umgang mit Stress“ bot am Abend Impulse für den Austausch über persönliche Herausforderungen im Alltag.
Kreativität als Zugang zur Geschichte
Am dritten Tag stand der Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Fokus. Die Jugendlichen erarbeiteten in kreativen Workshops biografische Porträts von Widerstandskämpfer:innen wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der Weißen Rose oder Frauen im Widerstand. Elias erkannte dabei, wie aktuell und greifbar diese Themen für ihn wurden: „Ich durfte ein Comic zur Weißen Rose gestalten und hab dabei wirklich zum ersten Mal von der Weißen Rose gehört, etwas darüber erfahren und fand es auch sehr interessant, dass diese Jugendlichen in unserem Alter waren und es geschafft haben, sich gegen das Regime aufzulehnen.“
Nachmittags konnten die Teilnehmenden im Kreativ-Workshop Jutebeutel gestalten, die unter anderem Motive aus der Widerstandsgeschichte und den deutsch-polnischen Beziehungen aufgriffen. Der Abend bot zunächst einen Kurzvortrag zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, bevor eine kontroverse Debatte zur Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart folgte: Soll man sich von der Vergangenheit lösen und nach vorn blicken oder bleibt die Geschichte als Lernquelle zentral für unser heutiges Miteinander?
Von Krzyżowa nach Wrocław – Geschichte erleben und kulturelle Entdeckungen
Nach einer gemeinsamen Reflexion und einem Gruppenfoto ging es am 27. Februar weiter nach Wrocław, wo die Teilnehmenden zunächst Freizeit genossen. Dabei entdeckten sie eine polnische Tradition: den „Tłusty Czwartek“ (Fetten Donnerstag), an dem traditionell Berliner (Pączki) gegessen werden. Dieser Tag leitet in Polen den Beginn der letzten Karnevalswoche vor der Fastenzeit ein. Viele deutsche Schüler:innen wunderten sich über die langen Schlangen vor den Bäckereien und lernten so eine besondere Facette der polnischen Kultur kennen. Lena war begeistert: „Während meiner Zeit in Polen war auch ein polnischer Feiertag, der Fat Thursday, was für mich sehr interessant war, diesen Teil der Kultur kennenzulernen.“
Am Nachmittag führte eine deutsch-polnische Stadtführung im Breslauer Stadtschloss die Gruppe durch die bewegte Geschichte der Stadt – vom Frühmittelalter bis ins 21. Jahrhundert. Der Abend klang bei einer Partie „Mafia“ (der polnischen Variante des in Deutschland bekannten Werwolf-Spiels) im Hostel aus.
Abschied mit Spiel und Reflexion – Was bleibt vom Austausch?
Am letzten Tag erkundeten die Jugendlichen Wrocław bei einer „Manhunt“, einer interaktiven Stadtrallye. Nach einer letzten gemeinsamen Mittagspause und etwas Freizeit ging es schließlich zum Bahnhof, wo sich die Wege trennten. Auf der langen Heimreise nach Mecklenburg-Vorpommern reflektierten die Teilnehmenden ihre Erlebnisse und Erkenntnisse. Der Schüler Mayar betonte, wie wichtig er den Austausch findet: „Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass wir uns treffen, Meinungen diskutieren, die Kulturen der jeweils anderen verstehen und sehen, wie andere Menschen leben. So können wir einander näherkommen und uns versöhnen.“
Der Austausch hinterließ bleibende Eindrücke: Freundschaften wurden vertieft, Perspektiven erweitert und ein gemeinsames Verständnis für Geschichte und Gegenwart gestärkt. Mayar zog für sich folgendes Fazit: „Ich habe die polnische Kultur besser kennengelernt, ein tieferes Verständnis für die deutsch-polnische Geschichte gewonnen und meine Kenntnisse über das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg vertieft.“ Damit setzte der Austausch ein starkes Zeichen für den deutsch-polnischen Dialog – und vielleicht auch für zukünftige Begegnungen zwischen den beiden Schulen.